Unsere unbewusste Stimme
„Unbewusst mache ich das bestimmt schon so.“
Gerne sagen wir diesen Satz zu uns selbst, wenn wir ein Buch lesen, ein Training besuchen oder Inhalte auf anderem Wege konsumieren, die eigentlich zur Reflexion und zum Lernen anregen sollten. Diese Stimme ist besonders da präsent, wo wir Dinge zum wiederholten Male hören, die uns offenbar nur noch langweilen. Auch verwenden wir diese Aussage gerne da, wo Inhalte vermeintlich simpel daherkommen und wir empfinden, schon längst über dieses Niveau hinausgewachsen zu sein.
Doch egal, wie viel tatsächlich an diesem subjektiven Eindruck dran ist: Diese Aussage, ob leise gedacht oder laut ausgesprochen, bringt ein großes Problem mit sich. Sie offenbart eine Menge über unsere Haltung. In dem wir diesen Satz aussprechen, bauen wir eine innere Mauer auf, die unserem persönlichen Wachstum im Wege steht. Er weist nämlich mindestens drei Wachstumsblocker auf, über die es sich lohnt nachzudenken.
Wachstumsblocker Nr. 1:
„Unbewusst mache ich das...“
Gewiss gibt es Dinge im Leben, die wir tun, ohne uns bewusst darauf zu konzentrieren. Und das ist auch gut so. Denken wir nur einmal daran, wie viel Energie es uns kosten würde, über jeden Schaltvorgang im Auto nachzudenken, jeden Schritt bewusst zu gehen oder sogar jeden Atemzug bewusst zu tun. Dann würde uns viel Kraft für die großen Herausforderungen des Lebens fehlen. Gut, dass Unbewusstes dennoch nicht automatisch dem Zufall unterliegt, sonst wäre unser Auto-Getriebe sicherlich längst hinüber, wir würden täglich mehrfach stürzen oder noch viel schlimmer, wir wären vor lauter Atemaussetzern gar nicht mehr am Leben. Unbewusst kann etwas dann wiedergegeben werden, wenn es erlernt ist. In schwierigen Situationen ist es dann hilfreich, das Erlernte als Grundlage zu haben, auf die wir zurückgreifen können. Wir bewältigen dann auch Schaltvorgänge auf steilen Bergstraßen, Schritte auf schwierigem Terrain oder Atemzüge beim 100-Meter-Lauf. Unbewusst greifen wir aber auch auf das zurück, was wir uns an negativen Verhaltensweisen angeeignet haben. Das können schlechte Angewohnheiten oder auch ungünstige Formulierungen sein, die gerade in angespannten Kontexten besonderes Konfliktpotential mit sich bringen. Die Hoffnung, dass unbewusst schon alles irgendwie läuft, ist damit kein empfehlenswerter Ratgeber.
Wachstumsblocker Nr. 2: „...bestimmt...“
„Bestimmt“ ist, wie übrigens die gesamte Aussage, sehr vage formuliert und damit ein ziemlich unbestimmter Begriff. Genauso gut könnten wir „vielleicht“ oder „wahrscheinlich“ einsetzen. Weichmacher dieser Art sind beliebte Sprachmuster, die für sich genommen bereits alarmieren sollten. Vorausgesetzt, wir schütteln unseren Wachstumskiller Nr. 1 ab und setzen uns bewusst mit unseren sprachlichen Angewohnheiten auseinander: Einen Weichmacher verwenden wir gerne da, wo wir Personen nicht angreifen oder verletzen wollen. Unsere Gesprächspartner sollen unsere Aussage nicht zu persönlich nehmen. Daher relativieren wir das Gesagte unter Einsatz dieser beliebten Zutat. Im Kontext des hier analysierten Satzes fällt auf: Der Weichmacher ist ausnahmsweise nicht an andere, sondern an uns selbst adressiert. Wir wollen damit den Denkanstoß, das Gelesene oder Gehörte nicht zu persönlich nehmen und lassen somit nichts davon an uns heran. Denn Lernen kostet bekanntlich Zeit und Kraft. Dass die häufig unbewusst wiedergegebenen Weichmacher nicht zu den besten kommunikativen Angewohnheiten gehören, fällt bei bewusster Betrachtung schnell auf. Sich diese im Sinne der Selbstbestätigung einzureden, ist für das persönliche Wachstum „bestimmt“ ebenso wenig empfehlenswert.
Wachstumsblocker Nr. 3:
„...schon so.“
Wir meinen, die gehörten, gesehenen oder erlebten Hinweise schon in unserem Alltag anzuwenden. Aber wie eigentlich? Hinterfragen wir uns, ob wir sie richtig und im Sinne des Erfinders umsetzen? Vielleicht hat die Person, die in dieser Situation zu uns spricht oder von der wir lesen, einen tieferen Ansatz oder einen Denkanstoß, der uns viel weiterbringen würde als in unserem Status quo zu verharren. Eigene Verhaltensmuster und Herangehensweisen zu hinterfragen, erfordert Mut, ist jedoch der Türöffner für persönliches Wachstum. Leider sind wir an dieser Stelle nicht mehr offen dafür, schließlich erscheint uns die Materie altbekannt.
Eine Haltungsfrage
„Spitzfindig“ mag der ein oder die andere denken, „ist doch nur ein so daher gesprochener Satz ohne Belang. So viel da hinein zu interpretieren ist doch ein wenig überzogen.“ Aber Vorsicht! Solche gern verwendeten Floskeln wandern bei mehrfacher Wiederholung in unser Unterbewusstsein und was dort geschieht, haben wir uns gerade vor Augen geführt. Sie manifestieren sich schneller als gedacht zu unserer erlernten Haltung. Wenn du also bis hierhin gelesen hast, möchte ich dich beglückwünschen, denn diesen Impuls scheinst du interessiert und bei vollem Bewusstsein zu lesen. Daher möchte ich dir nun vier Tipps unterbreiten, die dein Bewusstsein auf völlig legalem Wege erweitern und damit auf dein persönliches Wachstum einzahlen.
Lernen kostet Zeit und Kraft. Eigene Verhaltensmuster und Herangehensweisen zu hinterfragen, erfordert Mut. Doch es ist der Türöffner für persönliches Wachstum.
- Jonas Georg
Bewusstseinserweiterer Nr. 1: Offenheit
Der erste Schritt zu bewusstem Handeln ist eine offene Haltung. Die Offenheit, nie fertig mit deinem persönlichen Wachstum zu sein. Die Offenheit, neue Ansätze an dich heranzulassen. Die Offenheit, eingefahrene Verhaltensweisen zu hinterfragen. Reagiere mit Neugierde auf Impulse und auch auf vermeintlich altbekannte Weisheiten und Theorien. Wer weiß, welche neuen Perspektiven sich dabei für dich ergeben? Gehe bestenfalls immer mit der Erwartung an die Sache heran, dass ein neuer Gedanke auf dich wartet. Formuliere vor einem konkreten Lernereignis Ziele, die dich herausfordern und aus einer reinen Konsumentenhaltung herausbewegen.
Bewusstseinserweiterer Nr. 2: Persönliche Kernbotschaften
formulieren
Jeder von uns nimmt etwas anderes aus Veranstaltungen, Seminaren, Büchern, Videos oder Gesprächen mit. Wenn die Hürde der Selbstbestätigung überwunden ist, besteht stattdessen eine andere Gefahr. Nämlich die, staunend zurückzubleiben, ohne etwas Konkretes und Handfestes konserviert zu haben. Die Motivation, alles mitnehmen zu wollen, wird dazu führen, dass das Allermeiste wieder in Vergessenheit gerät. Fokussiere dich bestenfalls auf einen oder nur ein paar wenige Gedanken und Impulse, die dich besonders herausfordern. Lass keine Zeit vergehen, bis du diese prägnanten Aussagen für dich niederschreibst. Auch eine Visualisierung kann hilfreich sein, indem du kleine, aussagekräftige Grafiken zu Papier oder auf dein digitales Endgerät bringst. Hierbei geht es nicht um künstlerische Qualität. Weil Visualisieren mehr Zeit kostet, hat es den erfreulichen Effekt, dass du die Aussage währenddessen mehr und mehr verarbeitest und verinnerlichst.
Bewusstseinserweiterer Nr. 3: Anwendung
Deine Lernvorhaben sind nur dann etwas wert, wenn sie zur Anwendung kommen. Ansonsten stehen sie auf einer Stufe mit gutgemeinten Kalenderweisheiten, die einfach nur hübsch aussehen. Neue Denkanstöße zu bekommen hat dich Zeit und vielleicht sogar Geld gekostet. Es wäre schade, wenn die eingesetzte Ressource keinen Effekt hätte. Ihren Effekt entfaltet sie da, wo dein Lernvorhaben Wirklichkeit wird. Das passiert zum Beispiel dort, wo du eine neue Herangehensweise ausprobierst, oder bewusst ein rhetorisches Muster verwendest. Überfordere dich bei der ersten Umsetzung nicht durch einen zu hohen Schwierigkeitsgrad, sondern nutze für dein Training die einfachen Sachverhalte.
Bewusstseinserweiterer Nr. 4: Reflexion und Feedback
Du hast dein Lernvorhaben in die Tat umgesetzt. Nun ist es an der Zeit, die Erkenntnisse daraus abzuschöpfen. Reflektiere nicht nur nach der ersten Anwendung, sondern auch nach jedem weiteren Mal der Wiederholung. Das versetzt dich in einen dauerhaften Lern- und Entwicklungsprozess. Da die Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung bekanntlich weit auseinandergehen können, ist es hilfreich, nicht nur auf die eigene Einschätzung zu vertrauen. Bitte andere Personen um Feedback. Dies können Kollegen, Netzwerkpartner und sogar die eigenen Kunden sein. Bei manchen Vorhaben sind auch Audio- oder Videomitschnitte denkbar, die dir im Nachgang einen schonungslosen und ungefilterten Blick von außen ermöglichen.
Fazit
Echtes Persönlichkeitswachstum erfordert Handeln bei vollem Bewusstsein. Dabei steht uns die Stimme der Trägheit im Wege. Sie schiebt gute Impulse beiseite und flüstert uns ins Ohr, dass wir unbewusst schon alles ganz gut hinkriegen. Unsere Selbstbestätigung klopft uns liebevoll auf die Schultern und verhindert, dass wir persönlich vorankommen. Schneller als geahnt nehmen Wachstumsblocker Raum in uns ein und manifestieren sich zu einer bequemen und selbstgefälligen Haltung.
Anflüge von Trägheit werden wir nie vollständig verbannen können, immerhin sind wir keine Maschinen. Hilfreich ist es jedoch, jedem Input zunächst offen zu begegnen und persönliche Kernbotschaften zu notieren oder zu visualisieren. Anschließend sollte eine rasche Umsetzung erfolgen, die in eine dauerhafte Trainings- und Reflexionsschleife mündet. Und all denen, die bei sich denken: „Unbewusst mache ich das bestimmt schon so…“ sei an dieser Stelle gesagt: „Dann tu es ab jetzt doch einfach bewusst!“ Es geht dabei nicht um Perfektion. Wie so häufig ist der Weg das Ziel. In diesem Fall: Der Weg zu mehr Selbstbewusstsein.