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Digitale Sicherheit für Europa: Ohne Schutz keine Freiheit

Cyberangriffe bedrohen Unternehmen und Staaten weltweit. Sicherheitsexperte Ismet Koyun warnt: Die Gefahr wächst rasant. Hackerattacken, Manipulationen und Desinformation stellen unsere Demokratie auf die Probe. Im Interview spricht er über die dringendsten Herausforderungen, seine Vision einer ganzheitlichen digitalen Sicherheit und Lösungsansätze für eine widerstandsfähige digitale Zukunft.

Inhalt

Die Bedrohungen im digitalen Raum nehmen dramatisch zu. Fast wöchentlich erschüttern neue Cyberangriffe Unternehmen und staatliche Einrichtungen weltweit. Ismet Koyun, seit vier Jahrzehnten Sicherheitsexperte, Innovator und Visionär, sieht darin erst den Anfang einer besorgniserregenden Entwicklung. Wir müssen uns wappnen – gegen Hackerattacken, Manipulationen und Desinformation. Im Interview spricht er über seine Vision einer ganzheitlichen digitalen Sicherheit, Herausforderungen und Lösungsansätze für eine geschützte digitale Zukunft unserer Demokratie.

Interview

Redaktion
Cyberkriminalität hat viel mehr Dimensionen als Phishing-Mails in privaten Postfächern. Attacken auf Unternehmen und Behörden werden immer häufiger und immer versierter. In welchen Bereichen sehen Sie aktuell die größten Bedrohungen?

Ismet Koyun

Von Cyberkriminalität in ihren verschiedenen Facetten sind wir alle betroffen – von der Privatperson über Unternehmen bis zur öffentlichen Einrichtung. Jede Branche ist ein potenzielles Ziel, ob Banken, Energieversorger oder E-Autos. Die Bedrohung wird immer komplexer, immer schwieriger vorherzusagen. Täglich werden Hundertausende neue Malware-Varianten entdeckt, die nur dafür entwickelt sind, möglichst großen Schaden anzurichten.

Das Know-how für Cyberattacken lässt sich mittlerweile ganz bequem als Service bei kriminellen Spezialisten einkaufen. Deshalb ist es so einfach wie noch nie, persönliche Daten zu stehlen. Oder auch ganze Behörden, Krankenhäuser oder Flughäfen lahmzulegen. Das ist so, als würde jemand gleichzeitig in tausende Häuser einbrechen können – und zwar von seinem Sofa aus.

Bei den Angriffen geht es längst nicht mehr nur darum, Geld zu erpressen. Immer häufiger sind Cyberattacken politisch motiviert – gelenkt von Regierungen, die ihren Einfluss vergrößern und in der digitalen Welt Krieg führen.

Wie real ist die Gefahr, die von Cyberattacken ausgeht, für unsere Demokratie und unsere Werte?

Die Gefahr ist sehr real. Cyberangriffe werden eingesetzt, um Desinformation und Fake News zu verbreiten. Sie werden eingesetzt, um persönliche oder sicherheitsrelevante Daten abzugreifen. Demokratische Institutionen werden behindert (wie kürzlich erst wieder geschehen, als Website und Server des Bundesinnenministerium durch gezielte Überlastung lahmgelegt wurden). Hacker und Bots versuchen in den politischen Diskurs einzugreifen oder sogar Wahlen zu manipulieren. Das alles untergräbt nicht nur demokratische Werte, sondern bedroht ganz konkret unsere freiheitliche Grundordnung.

Eine Demokratie muss daher unbedingt auch im Digitalen wehrhaft sein. Wer seine Daten nicht schützt, schützt auch sein Land nicht. Stellen Sie sich die Demokratie wie ein Haus vor: Früher brauchten wir nur ein gutes Schloss an der Tür und vielleicht ein paar stabile Fenster. Heute leben wir aber auch im digitalen Raum. Und dort braucht unsere Demokratie den gleichen Schutz. Was wir benötigen, ist eine ganzheitliche digitale Sicherheitsstrategie, die uns diesen Schutz bietet.

Welche Rolle nehmen moderne Technologien wie KI dabei ein? Tragen sie zur Lösung bei oder verstärken sie die Gefahr noch?

Beides. Künstliche Intelligenz kann ein mächtiges Werkzeug zur Gefahrenabwehr sein. Aber sie kann auch eine mächtige Waffe für Kriminelle sein. Es ist nur logisch, dass der Einsatz von KI bei Cyberattacken ansteigt. Garter sagt voraus: Bis 2027 wird bei 17 Prozent aller Angriffe generative KI im Spiel sein.

Das ist ein Problem. Denken Sie an immer effektivere, von der KI programmierte Viren. Denken Sie aber auch einen Schritt weiter – an Deepfakes in Videocalls oder Telefonaten. Schon jetzt ist praktisch unmöglich zu erkennen, ob man mit einer realen Person oder einem Algorithmus spricht. Wie sollen Mitarbeiter sicher sein, ob sie wirklich mit ihrem Chef sprechen oder ob sie gerade sensible Daten an einen Betrüger weitergeben?

Andererseits verstärkt KI aber auch die Resilienz. Sie kann Angriffe in Echtzeit erkennen oder sogar voraussagen. Sie kann Sicherheitsmechanismen automatisch anpassen. Und sie kann Prozesse effizienter machen. Entscheidend ist, wie wir KI nutzen – und wie schnell und effektiv wir sie den Cyberkriminellen entgegensetzen können.
Die geplante KI-Investitionsoffensive von Donald Trump verdeutlicht: KI ist noch weit mehr als ein Werkzeug. Sie ist der Schlüssel zu politischer und wirtschaftlicher Macht. Der Kampf um die Hoheit über die Technologie wird zu einem zentralen Konfliktpotenzial der kommenden Jahre. Wir müssen aufpassen, dass die Sicherheit dabei nicht auf der Strecke bleibt.

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Was können wir tun, um bei allen beteiligten Akteuren und in der Gesellschaft das Bewusstsein für Cybersecurity zu schärfen?

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft. Cybersicherheit ist kein Randthema, sondern sollte im Fokus aller stehen: Unternehmen, Organisationen, Politik – und bei den Menschen. Sicherheit muss genauso selbstverständlich werden wie in der realen Welt, wie der Gurt im Auto oder die Polizei auf unseren Straßen. Es darf keine digitale Angst geben – stattdessen brauchen wir Vertrauen.

Die Vision einer geschützten digitalen Demokratie bedeutet für mich im Grunde genommen, dass sich jeder im Internet genauso sicher fühlen kann wie im eigenen Wohnzimmer. Dass Ihre digitale Stimme genauso geschützt ist wie der Wahlzettel. Dass die Online-Bankdaten so sicher sind wie der Tresor in der Bank.

Das Bewusstsein beginnt bei der Politik. Wir brauchen klare Regeln für den Umgang mit KI und anderen Zukunftstechnologien. Wir brauchen eine breite Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Wir brauchen höhere Investitionen, um Innovationspotenzial – das in Deutschland reichlich vorhanden ist – zu fördern. Nicht zuletzt sind Bildung und Aufklärung nötig. Damit alle Bürger verstehen, wie wichtig digitale Sicherheit ist und warum sie unsere Freiheit garantiert.

Freiheit entsteht also nur durch digitale Sicherheit?

Absolut. Die digitale Welt ist ein immer wichtigerer Teil unseres Lebens. Dort arbeiten wir, kommunizieren miteinander, hinterlassen unsere Daten, tätigen Geschäfte, bilden uns unsere Meinung. Sicherheit ist die Grundlage, um diese Freiheiten nutzen zu können. Egal, ob es um Online-Banking geht, um den Videochat mit der Oma oder darum, online die Stimme bei einer Petition abzugeben – das muss genauso sicher sein wie der Gang zur Bank, der Familienbesuch oder der Weg zur Wahlurne.

Eine sichere digitale Demokratie bedeutet: Die Freiheit, das Internet ohne Angst nutzen zu können. Die Freiheit, digital am demokratischen Leben teilzunehmen. Die Freiheit, die Chancen der digitalen Welt voll auszuschöpfen – und zwar für alle Bürger ohne Ausnahme.

Ist ein vollständiger Schutz im digitalen Raum überhaupt möglich? Je schneller die Digitalisierung voranschreitet, desto mehr Angriffspunkte ergeben sich für Kriminelle. Wie können wir auf immer neue Bedrohungen reagieren?

Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben. Aber wir können die Angriffsflächen minimieren. Und das ist keine Zukunftsmusik. Die Technologie dafür gibt es. Was wir brauchen, ist der Wille, diese Sicherheit auch durchgängig umzusetzen – verlässliche Schutzmaßnahmen jederzeit und überall in der digitalen Welt.

Spätestens der Crowdstrike-Vorfall im letzten Jahr sollte wachgerüttelt haben. Die Software-Panne kam einem weltweiten Cyberangriff gleich. Sie legte Millionen Computer lahm. Das zeigt: Die aktuellen Sicherheitsinfrastrukturen reichen nicht aus. Wir brauchen wirksame, ganzheitliche Sicherheitsinfrastrukturen, die Sicherheit in allen digitalen Aspekten bieten.

Sie sprechen von ganzheitlichen Sicherheitsinfrastrukturen. Reicht es nicht aus, wenn sich jedes Unternehmen und jede Organisation die jeweils passendsten verfügbaren Lösungen zusammensucht?

Nein. Flickschusterei ist genau der falsche Ansatz. Das schafft keine Sicherheit. Wenn alle unterschiedliche Komponenten von unterschiedlichen Anbietern nutzen, entstehen unzählige Schwachstellen. Um im Bild von vorhin zu bleiben: Das ist, als ob Sie in Ihrem Haus Fenster und Türen aus verschiedenen Materialien zusammenstückeln – es bleibt immer eine Lücke.

Was wir brauchen, ist durchgängige Sicherheit, einen 360-Grad-Ansatz. Wer die digitale Welt betritt, dessen Daten müssen sicher sein – ob das beim Einloggen in den Arbeitscomputer ist oder beim Öffnen einer App. Aber selbst, wenn die Anmeldung sicher ist: Ist der Nutzer auch geschützt, wenn er nebenbei ein Chat-Programm öffnet? Oder wenn er zu einer Finanzapp wechselt, um ein gekauftes Produkt zu bezahlen? Wirklich lückenlos ist der Schutz nur, wenn der Nutzer sich überall im digitalen Raum mit ein und derselben, zweifelsfrei verifizierten digitalen Identität bewegen kann, ohne zwischen verschiedenen Konten und Passwörtern zu wechseln.

Deshalb meine Forderung nach geschlossenen digitalen Systemen und Plattformen. Solche sicheren Ökosysteme, die unabhängig von großen Tech-Konzernen sind, müssen wir in Deutschland und Europa etablieren. Nur dann sind wir wirklich sicher und machen uns digital unabhängig. Wir brauchen eine Plattform-Ökonomie 4.0 – das ist meine Vision.

Was bedeutet Ihre Vision der Plattform-Ökonomie 4.0 und wie sehen Sie Europa in der Pflicht?

Fangen wir mit Europa an. Generell und im Speziellen vor dem Hintergrund des erneut gewählten US-Präsidenten Donald Trump gilt für mich: Europa muss als Einheit vor den USA auftreten. Wir können nur gemeinsam nach vorne kommen. Das erfordert den Rückhalt der Politik in Deutschland und Europa und den Fokus auf geopolitische Themen, aber auch auf digitale Technologien und unseren europaweiten Schutz vor Cybergewalt. Wir dürfen nicht abwarten, was über dem Teich passiert, und dann handeln, sondern wir müssen jetzt aktiv sein und uns für unsere digitale Souveränität einsetzen. Denn diese wird sonst mit Blick auf Trumps America-first-Politik weiter zunehmen. Zudem wird Trump die Deregulierung vorantreiben. Die Schere zwischen amerikanischen Regularien und europäischem Recht – zum Beispiel die strengen Datenschutzrichtlinien in der EU – wird immer größer, der digitale Schutz schwächer.

Genau deshalb brauchen wir in Europa eigene Technologien. Wir müssen autark und selbstbestimmt sein. Das schaffen wir, indem wir geschlossen auftreten. Indem wir europaweit zusammenarbeiten. Indem wir kollektive Stärke freisetzen, ein autarkes digitales System unterstützen und ganzheitliche Sicherheitsstrukturen etablieren. Dafür steht meine Vision der Plattform-Ökonomie 4.0: eine kollektive Zusammenarbeit, die individuelle Stärken fördert und vervielfacht – und so zur vertrauenswürdigen, sicheren Grundlage für alle digitalen Prozesse wird und für ein starkes, digital sicheres und souveränes Europa.

Ismet Koyun, CEO und Gründer, KOBIL Gruppe Copyright: KOBIL Gruppe

Sie plädieren für ein starkes, digital souveränes Europa – welche Auswirkungen hat das auf das digitale Deutschland und unsere zukünftige Regierung?

Ein starkes Europa braucht ein starkes Deutschland. Politisch wie auch im digitalen Umfeld. Und das schaffen wir nur mit der vollständigen Kontrolle über unsere digitale Infrastruktur. Unsere neue Bundesregierung muss ein Umfeld schaffen, in dem der nötige Innovationsgeist wachsen kann, und in dem Privatpersonen, Unternehmen und staatliche Organisationen sicher agieren können. Bislang fehlt gerade in Deutschland der politische Wille, das konsequent zu unterstützen. Einheimische Technologien, Unternehmen und Start-ups müssen gezielt gefördert werden, Anreize für Innovationen geschaffen werden und Digitalisierungsprojekte müssen unterstützt werden, damit wir digital unabhängig werden. Dann kann Deutschland zu alter Stärke zurückfinden und zum Vorreiter eines sicheren Europas werden.

Worauf müssen wir uns in Zukunft noch einstellen? Was sind die kommenden großen Herausforderungen beim Thema Cybersecurity?

Das Tempo der Bedrohung wird weiter steigen. Die Kriegführung verlagert sich immer mehr in die digitale Welt. Sicherheitskonzepte, die aktuell unüberwindbar erscheinen, werden durch KI und Quantencomputing schon bald wie aus der Steinzeit wirken und in Sekundenschnelle geknackt werden. Darauf müssen wir uns schon jetzt einstellen und darauf reagieren. Cybersicherheit ist deshalb im Jahr 2025 und darüber hinaus das Thema Nummer Eins – in Deutschland, Europa und weltweit.

Dazu müssen wir in Europa und in Deutschland zusammenhalten und geschlossen auf eine ganzheitliche Sicherheit hinarbeiten. Dann gelingt es uns, das nötige Vertrauen zu schaffen. Vertrauen in digitale Systeme, Vertrauen in die Sicherheit unserer Daten, Vertrauen in eine geschützte Demokratie.

Ismet Koyun ist Pionier für digitale Identität und Sicherheit sowie Gründer und CEO KOBIL, Weltmarktführer für digitale Identitäts- und Sicherheitslösungen. Koyun hält mehrere Patente.
Seine Vision: Die Plattform Ökonomie 4.0, eine vertrauenswürdige, sichere Grundlage für digitale Prozesse mit einem digitalen Ökosystem, an dem Menschen, Organisationen und Unternehmen kollektiv mitwirken können – für ein digital unabhängiges, souveränes Deutschland und Europa.

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