Kommunikation ist keine Einbahnstraße
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Diesen Satz prägte der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick. Er stellte damit klar, dass wir nicht nur mit Worten, sondern mit unserem gesamten Verhalten kommunizieren. Häufig denken wir beim Thema Kommunikation an die Person, welche die Worte, oder Watzlawick zur Folge auch das Verhalten, sendet. Nach dem klassischen Sender-Empfänger-Modell aus den 1940er-Jahren benötigt Kommunikation jedoch auch eine Person, die die gesendeten Signale aufnimmt und entschlüsselt.
Gehen wir von wortbasierter Kommunikation aus, gibt es für Sender die Möglichkeiten des Schreibens und des Sprechens und für Empfänger dementsprechend die Empfangskanäle Lesen und Zuhören. In der frühen Kindheit erlernen wir das Sprechen, denn wir merken schnell: „Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden.“ Spätestens in der ersten Klasse kommen Schreiben und Lesen dazu, was in uns die Gedanken reifen lässt: „Wer schreibt, der bleibt“ und „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.“
Zuhören – Mangelware
Dem Zuhören kommt in unseren ersten Jahren ebenfalls eine große Bedeutung zu, da es für das Erlernen von Sprache essenziell ist. Doch schon in der Schulzeit wird dem Zuhören kein besonderes Augenmerk mehr gewidmet, denken wir an die schriftliche und mündliche Notengebung. Gefühlt sind die Schüler besser dran, die „auch das Gleiche sagen wollten“, als diejenigen, die besonnen und aufmerksam zuhören, nachdenken und schlichtweg verinnerlichen. Werfen wir heutzutage einen bewussten Blick in unsere Gesellschaft, fallen uns schnell verschiedene Unarten des Zuhörens auf. Wir fallen einander ins Wort. Wir überbieten uns bei dem, was wir an Erlebnissen und Erfahrungen gemacht haben. Wir sind nicht bei der Sache oder hören wortwörtlich nur mit halbem Ohr hin.
Die Unarten gipfeln darin, dass wir uns mitten im Gespräch unserem Smartphone zuwenden, oder dies gar nicht erst aus der Hand legen. Alle Negativ-Beispiele lassen sich in einem einfachen Prinzip zusammenfassen: Wir sind gedanklich nicht bei unserem Gegenüber, wir sind bei uns selbst! Da locken uns auch Sätze wie „Jetzt hör mir mal zu!“ oder „Du hast mir nicht zugehört!“ selten aus unserer Komfortzone.
Zuhören bedarf Haltung und Technik
In Seminaren beobachte ich, dass die Techniken des aktiven Zuhörens, die sensibilisieren und Abhilfe schaffen sollen, auf Teilnehmer häufig unnatürlich, sperrig oder überzogen wirken. Das lässt mich jedoch nicht auf einen Mangel seitens der Technik sondern vielmehr auf einen großen Bedarf unserer Gesellschaft schließen: Wir sind echtes Zuhören nicht gewohnt. Vermutlich liegt dies am alltäglichen Gebrauch des Zuhörens, den wir nicht mehr bewusst reflektieren. Der damit entstandene Mangel zieht sich vom Smalltalk auf der Straße bis in die Debatten des Bundestages, quer durch alle Altersklassen und sozialen Schichten. Dessen Lösung liegt in einem grundsätzlichen Prinzip: Zuhören bedarf in erster Linie einer Haltung – und dann der richtigen Technik. Führen wir uns nun fünf Schritte des aktiven Zuhörens vor Augen, die bei ebendieser grundsätzlichen Einstellung beginnen.
Zuhören bedarf in erster Linie einer Haltung.
– Jonas Georg
Schritt 1 – Aufmerksamkeit beim Gegenüber
Zuhören bedeutet alle Aufmerksamkeit auf unseren Gesprächspartner zu richten und uns nicht auf Antworten und schon gar nicht auf Lösungen vorzubereiten. Es bedeutet, alle anderen Beschäftigungen beiseite zu legen und ein Verständnis für die Gefühlswelt unseres Gegenübers zu entwickeln. Erst wenn wir diese zugewandte Haltung einnehmen, die das Fundament bildet, können wir über weitere Schritte des aktiven Zuhörens nachdenken. Jeder der nachfolgenden Schritte greift nämlich auf diese, von uns wegschauende Haltung zurück.
Schritt 2 – Paraphrasieren
Beim aktiven Zuhören spiegeln wir unserem Gesprächspartner zurück, was wir verstanden haben, ohne unsere eigene Meinung einzubringen. Dazu nutzen wir die sogenannte Paraphrase, also die Wiedergabe des Gesagten in unseren eigenen Worten. Dies kann, wenn es auch in der aktuellen Debattenkultur völlig anders gelebt wird, durchaus soweit gehen, dass wir auch uns unbequeme oder widerstrebende Haltungen und Meinungen zunächst wiedergeben. Dieser Schritt ermöglicht, dass beide Gesprächsparteien vom gleichen Gesprächsanliegen ausgehen.
Schritt 3 – Fokussieren
Bestätigt unser Gesprächspartner diese Paraphrase, hilft uns ein Zwischenschritt den Fokus weiter zu schärfen und sachlicher zu werden. In der Regel ist das anfangs Geschilderte nämlich von Emotion begleitet und noch etwas unstrukturiert. Mit der Frage: „Was ist dir daran am Wichtigsten?“ kristallisiert sich der Gesprächsgegenstand klar heraus. Auch dieser dritte Schritt zeigt, dass das Augenmerk weiterhin nur beim Erzähler verbleibt.
Schritt 4 – Lösungsfindung
Der nun folgende Schritt lenkt das Gespräch auf die Lösungsmöglichkeiten. Anders als wir es intuitiv oft tun, reagieren wir jedoch nicht selbst mit Vorschlägen und Antworten, sondern bleiben mit geeigneten Fragestellungen weiterhin ganz bei unserem Gegenüber. Die Fragestellungen könnten je nach Situation sein: „Was erwägst du nun zu tun?“, „Kann ich bei diesem Thema etwas tun?“ oder „Wünscht du dir in dieser Sache etwas von mir?“
Schritt 5 – weitere Anliegen
Wurde Klarheit über das Anliegen hergestellt, sollten wir abschließend fragen, ob es weitere Punkte gibt, die der Erzähler besprechen möchte. Erneut sind wir als Zuhörer herausgefordert, nicht direkt von uns und der eigenen Sichtweise zu sprechen, sondern immer noch bei den Bedürfnissen des Erzählers zu verharren. Klar ist aber auch: Treffen zwei Personen mit einer zuhörenden, von sich wegschauenden Haltung aufeinander, wechseln spätestens an dieser Stelle die Redeanteile.
Zuhören – ein Gewinn
Betrachten wir die fünf Schritte noch einmal im Überblick, fällt uns auf, dass die Technik zunächst einen großen Mehrwert für die erzählende Person aufweist. Die Person erhält unser volles Augenmerk, wenn es auch in diesem Fall besser „Ohrenmerk“ heißen müsste. Das allein sollte genügen, denken wir an die enorme Wertschätzung, die wir damit zum Ausdruck bringen. Da Kommunikation, wie wir wissen, keine Einbahnstraße ist, sind aber auch die Effekte und Vorteile guten Zuhörens vielseitig. Alle Gesprächsparteien können daraus einen Nutzen ziehen. Allerdings können wir, wie so oft, nur bei unserer eigenen Einstellung ansetzen. Eine fast 2000 Jahre alte, biblische Weisheit betont: „Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn!“ (Die Bibel, Jakobus 1, Vers 19)
Echtes Zuhören ist aktives Zuhören.
– Jonas Georg
Zorn entsteht häufig, wenn wir uns nicht gesehen oder gehört fühlen, wenn es einen schnellen Schlagabtausch oder Missverständnisse gibt. Die Ursachen hierfür liegen wiederum sehr häufig beim mangelnden Zuhören. Führe ich mir die prägnante Weisheit bewusst vor Augen, bewundere ich die Aufforderung „schnell zum Hören“ zu sein. Ich verbinde Schnelligkeit vor Allem mit Dingen, die aktiv in Bewegung sind: „schnell fahren“, „schnell rennen“, ja sogar „schnell reden“. Und dann fällt mir erst auf: Zuhören ist nichts Passives, nichts zum Zurücklehnen, es ist pure Aktivität. Echtes Zuhören ist aktives Zuhören. Und Derjenige, der die Vision des aktiven Zuhörens prägte, ist wohl schon älter, als ich dachte. In diesem Sinne: Machen wir diese Vision doch heute zu unserer eigenen und schenken unserem nächsten Gesprächspartner Zeit, ungeteilte Aufmerksamkeit und unser ganzes Gehör.