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Von der Vision gefunden – im Interview mit Andreas Schollmeier

Im Interview erzählt Andreas Schollmeier von seinem Weg als Steuerberater und Führungskraft hin zu einer klaren Vision. Er spricht über seine Erfahrungen im Personalmanagement und die Einführung der 4-Tage-Woche in seiner Kanzlei. So hat er seine Vision gefunden und das treibt ihn an, seine Kunden und Mitarbeiter glücklich zu machen.

Inhalt

Interview

Daniel Büscher
Als wir uns kennenlernten, hast du mir deine Geschichte erzählt und ich konnte sehen, wie begeistert du warst. Wir sind darauf zu sprechen gekommen, dass Menschen eine besondere Ausstrahlung haben, wenn sie ihre Vision gefunden haben. Nimm uns mit in deine Geschichte und erzähle uns, warum du so strahlst.

Andreas Schollmeier
Das ist natürlich ein langer Weg. Ich versuche, ihn kurz zu skizzieren, weil er für das Verständnis wichtig ist. Nach dem Studium habe ich mich für den Beruf des Steuerberaters entschieden und war lange Zeit angestellt. Ich suchte mir einen Partner, mit dem ich gut zusammenarbeiten konnte, und arbeitete ein Jahr als Angestellter für ihn, bevor ich 2019 die Kanzlei übernahm. Ich dachte, ich sei bereit für die Selbständigkeit, aber wie viele Steuerberater machte ich den Fehler zu glauben, dass ich mit meinem Fachwissen alles kann, auch die Kanzlei- und Personalführung. Obwohl ich die Kanzlei mit vier Mitarbeiterinnen übernahm, wusste ich, dass wir uns vergrößern mussten, um bestehen zu können. Der Transformationsprozess beschleunigte sich, das Team veränderte sich, aber ich investierte nicht genug Zeit, um es zu formen. Stattdessen habe ich mich auf Digitalisierung und Prozessoptimierung konzentriert. Obwohl wir mehr Kunden und mehr Mitarbeiter hatten, führte das nicht zu mehr Zufriedenheit. Gerade auf der Personalseite lief es anfangs nicht so gut. Schließlich wollte meine Frau das nicht mehr mit ansehen und empfahl mir einen Business Coach, der mir half, die Dinge zu verbessern – das Beste, was mir zu dem Zeitpunkt passieren konnte. Im ersten Moment dachte ich, „okay, jetzt musst du zum Psychologen“. Aber mittlerweile finde ich es extrem wichtig, einen externen Coach und Berater zu haben, um nicht alle Fehler selbst machen zu müssen.

Es gibt derzeit ja sehr viele Coaches auf dem Markt. War dein Coach eher ein Berater mit Führungserfahrung oder ein Coach für persönliches Wachstum?

Im Grunde war es beides. Er hat mich gespiegelt und mir auch konkrete Hilfestellungen gegeben, wie ich Teamentwicklung und Führung im Alltag besser machen kann. Wir haben die Themen bearbeitet, die bei mir nicht so gut gelaufen sind. Als Coach hat er mir keinen konkreten Plan vorgegeben, sondern nur einen Rahmen skizziert. Außerdem habe ich viele Bücher und Zeitschriften zum Thema Führung gelesen und mir dadurch selbst viel Wissen angeeignet. Und in diesem Rahmen habe ich dann einfach Dinge ausprobiert und mit meinem Coach reflektiert.

Vielleicht können wir an der Stelle noch einmal einen Schritt zurückgehen und über Erwartung und Realität sprechen. Man hat ja im Studium eine gewisse Erwartungshaltung. Die Realität sieht dann, wie du auch beschrieben hast, ganz anders aus. Wie war dieser „Bruch“ für dich?

Der Schritt in die Selbstständigkeit war für mich wie ein Sprung vom 10-Meter-Brett. Die Hürde, diesen Schritt wirklich zu gehen und zu sagen, ich will jetzt selbstständig sein, war für mich unglaublich hoch. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie ich Kunden gewinnen und wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ich in Zukunft ein Thema im Personalbereich haben werde – das habe ich einfach unterschätzt.

Das Thema Wertschätzung finde ich ein gutes Beispiel für den Unterschied zwischen Erwartung und Realität. Früher dachte ich, es reicht, wenn ich als Führungskraft freundlich und nett zu meinen Mitarbeitern bin und sie gut behandle. Dann würde schon alles irgendwie funktionieren. Aber in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass Wertschätzung mehr ist als nette Worte. Es geht darum, die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuerkennen und ihnen konstruktives Feedback zu geben. Das kann auch bedeuten, Kritik zu üben, um die Leistung des Mitarbeiters zu verbessern.

Ich hatte eine Mitarbeiterin, die zu mir kam. Ich habe sie gebeten, mir ihren Arbeitsprozess zu zeigen. Dann habe ich auf drei oder vier A4-Seiten aufgeschrieben, was sie verbessern könnte. Zuerst dachte sie, ich wolle sie loswerden. Aber ich habe mir die Mühe gemacht, sie zu qualifizieren und viel Zeit in Feedback und Austausch investiert, nicht, um sie loszuwerden, sondern um sie mitzunehmen.

Früher habe ich mich ausschließlich als Steuerberater gesehen, dann als Unternehmer und heute eher als Führungskraft. Mein Rollenverständnis hat sich vor allem während meiner Zeit in der Kanzlei verändert. Ich habe gelernt, vieles aus dem operativen Geschäft an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu delegieren. Das hat zwar viel Zeit und Mühe gekostet, aber es hat sich gelohnt, weil ich dadurch auch meine Mitarbeiter befähigen konnte.

Vorhin hast du erwähnt, dass du dich vom Steuerberater zum Unternehmer und jetzt zur Führungskraft entwickelt hast. Was macht dir dabei am meisten Spaß?

Im Prinzip bin ich heute vor allem ein glücklicher Steuer- und Unternehmensberater, weil ich ein tolles Team habe. Die Menschen sind fachlich und emotional kompetent und unterstützen sich gegenseitig. Es erfüllt mich mit Freude zu sehen, wie sich das Personal im Laufe der Jahre entwickelt hat. Eine wichtige Frage, die ich mir stellen musste, war, ob ich wirklich eine Führungskraft sein will und Personal führen möchte.

Und wie hast du dich dann für die 4-Tage-Woche entschieden? Das ist ja in eurer Branche nicht üblich.

Ja, das ist richtig. Letztes Jahr haben wir hier die 4-Tage-Woche eingeführt. Was danach passiert ist, ist eine unglaubliche Geschichte, über die ich sogar ein Buch schreiben könnte. Die positiven Auswirkungen der 4-Tage-Woche kann man in einem kurzen Interview gar nicht wiedergeben. Mitarbeiter wurden sogar von Passanten angesprochen, die sich wunderten, warum sie an einem Wochentag frei hatten. Wir hatten eine Pressemitteilung herausgegeben und haben hier um die Ecke für unsere Mitarbeiter ein Eis gekauft. Da rief der Verkäufer über die Promenade: „Schönes Wochenende!“ Die ganze Stadt sprach darüber und ich werde noch heute, ein dreiviertel Jahr später, darauf angesprochen. Egal, wo ich hinkomme, irgendwann kommt immer das Thema „4-Tage-Woche“ auf. Für uns und unser Team ist das natürlich sehr gut. Wir waren nicht die Ersten und haben es auch nicht erfunden, aber wir sind auf jeden Fall Teil davon.

Gerade in dem Segment, wo du dich als Steuerberater bewegst, ist man ja schon eher als konservativ abgestempelt. Hattest du die 4-Tage-Woche schon länger als Vision?

Unser Beruf des Steuerberaters wird oft als verstaubt und konservativ wahrgenommen, obwohl sich die Branche stark digitalisiert. Mein Ziel ist es, mehr Menschen für den Beruf zu begeistern und die Steuerbranche insgesamt attraktiver zu machen. Wenn wir noch weiter denken, könnte die nächste Vision sein, dass Unternehmen mit einer 4-Tage-Woche generell attraktiver für Arbeitnehmer werden – nicht nur in der Steuerberatungsbranche, sondern generell. Ich glaube, wir müssen Arbeit einfach neu denken. Wir sollten endlich aufhören zu denken, dass Arbeitszeit gleich Arbeitsleistung ist. Das ist absoluter Quatsch, wie wir gesehen haben. Langfristig sollte die Arbeitszeit verkürzt werden, um Unternehmen attraktiver zu machen und Burnout-Raten zu senken. Flexibilität bei den Arbeitsmodellen ist wichtig, um auch Familien eine Möglichkeit zu bieten. Meiner Meinung nach gibt es bei der 4-Tage-Woche kein klares Schwarz oder Weiß, da es viele verschiedene Modelle gibt. Wichtig ist mir aber, dass es tatsächlich um Arbeitszeitverkürzung geht, wobei der Gesundheitsaspekt im Vordergrund stehen sollte. Wer gesünder ist, kann auch länger arbeiten, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen.

Aus meiner Sicht gibt es kein Instrument, das die Wertschätzung für die Mitarbeiter besser zum Ausdruck bringt, als zu sagen: „Wir arbeiten einen Tag weniger.“

Deine Geschichte hat dich über Umwege dorthin geführt, wo du jetzt bist. Würdest du sagen, dass man eine Vision sucht oder dass die Vision einen findet? Und vielleicht noch als Ergänzung: Warum strahlst du so, wenn du davon erzählst?

Ja, das ist eine spannende Frage. Ein Bundeskanzler hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Ich persönlich habe mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie meine Vision für die Kanzlei aussehen könnte. Aber ich habe nie einen Satz gefunden, der das so komprimiert und auf den Punkt bringt. Die Idee der 4-Tage-Woche ist im Laufe der Zeit entstanden, weil ich nicht mehr am Wochenende arbeiten wollte. Ich musste etwas ausprobieren. Heute, nach der Einführung der 4-Tage-Woche, arbeite ich nicht mehr am Wochenende. Das ist sicher auch ein Antrieb für die Generation Y. Wir wollen Privatleben und Beruf vereinbaren können, wir wollen unsere Kinder sehen und Zeit mit ihnen verbringen.

Meine Vision ist es, die Steuerbranche und die Unternehmen attraktiver zu machen. Diese Vision hätte ich aber nicht, wenn ich nicht die 4-Tage-Woche eingeführt hätte.

Und deshalb ist die klare Antwort in diesem Fall: Die Vision hat mich gefunden.

Aber ich hatte immer die Vision oder den Wunsch, Menschen glücklich zu machen. Beide sind kompatibel und passen gut zusammen. Vielleicht schließt sich hier ein Kreis. Man muss nicht nur eine Vision haben, es können auch mehrere Dinge sein, die sich ergeben und zusammenpassen.

Ich bin jemand, der gerne arbeitet und alles für seine Kunden und Mitarbeiter gibt. Ich gebe wirklich 100 %, und wenn es ein Problem gibt, kann man mich immer erreichen und ich bin da. Ich möchte meine Kunden, meine Kollegen und alle um mich herum glücklich machen. Im Team ist mir eine positive Einstellung und Wertschätzung wichtig. Wir haben kein negatives Bias und sehen die Dinge positiv. All das kann ich jetzt in meinem Beruf ausleben. Das gibt mir ein ganz anderes Lebensgefühl und vielleicht strahle ich das auch aus.

Danke für das Gespräch!

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